Solarstrom vom Autodach
Schon in den Pionierzeiten der Solarenergie wurde versucht, die Aussenhülle von Elektroautos für die Erzeugung von Solarstrom zu nutzen. Bisher hat sich die Idee bisher nicht durchgesetzt. Ein Westschweizer Forschungsprojekt hat nun ein Photovoltaik-Modul für Autodächer entwickelt.
Im Jahr 1985 wurde in der Schweiz die erste Tour de Sol durchgeführt. Der Wettbewerb für solargetriebene Rennwagen führte in fünf Etappen von Romanshorn nach Genf. Das Schaulaufen einfallsreicher Solaringenieure inspirierte etablierte Autohersteller. Audi präsentierte 1989 ein Auto mit Solardach. 2010 rüstete Toyota seinen Prius mit einem Solardach aus, um die Batterie des Hybridfahrzeugs zu laden. Seither steigerten die Autohersteller die Leistung der fahrzeugeigenen Solarpaneele. Das Elektro-SUV Fisker Ocean erreichte zuletzt eine Leistung von 270 Watt.
CSEM forscht für Komponentenhersteller
Die fahrzeugintegrierte Photovoltaik (Vehicle Integrated PV/VIPV) hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Die Vorteile einer fahrzeuggestützten Solarstrom-Produktion liegen auf der Hand: Der selbst erzeugte Strom steigert die Reichweite. Darüber hinaus wird das Stromnetz entlastet, wenn E-Autos seltener an die Ladestation müssen.
Trotzdem bleibt die Nutzung der Karosserie zur Stromproduktion bisher ein Nischenphänomen. Solarzellen sind beispielsweise beim Toyota Prius oder dem Hyundai Ioniq 5 ein kostenpflichtiges Extra. In Camping-Mobilen wird die solare Stromerzeugung zwar gern eingesetzt, bei Elektrofahrzeugen hingegen ist sie noch längst nicht Standard. Firmen wie SonoMotors, Lightyear oder Fisker, die auf VIPV setzten, konnten sich am Markt nicht etablieren. «Ein Solarauto von Grund auf neu zu konzipieren, ist teuer. Will man der VIPV zum Durchbruch verhelfen, ist es sinnvoller, Solardächer von spezialisierten Lieferanten in bestehende Fahrzeugmodelle einzubauen», sagt Antonin Faes vom Technologie-Innovationszentrum CSEM.
Polymer statt Glas
Seit 2020 kooperiert das CSEM mit der portugiesischen Firma Simoldes Plastics, die ein PV-Dach für Stellantis entwickelt hat. Parallel arbeitete das CSEM in den letzten drei Jahren gemeinsam mit dem PV-Labor der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) in Neuenburg an einer neuen Architektur für VIPV-Module. Als Trägermaterial der Solarzellen wird nicht Glas verwendet, sondern Kunststoff (Polymer). Das Projekt mit dem Namen SolarBody wird vom BFE unterstützt und läuft noch bis 2025.
Antonin Faes leitet SolarBody. Nach Auskunft des CSEM-Wissenschaftlers hat Kunststoff gegenüber Glas mehrere Vorteile: «Polymer-Module haben weniger Gewicht und eine höhere Bruchfestigkeit. Sie erlauben zudem Anwendungen mit einem grösseren Formenreichtum und sind einfacher herstellbar als Glasmodule.» Gemeinsam mit Industriepartnern hat das CSEM an mehreren Prototypen von Solarautos mitgewirkt, die mit Polymer-Modulen ausgerüstet sind.
Eines dieser Projekte lief von 2020 bis 2024 unter dem Namen PhotoVoltaic Automotive Body (PVAB). Beteiligt waren neben CSEM und Simoldes das portugiesische Produktentwicklungszentrum CEiiA und der Autokonzern Stellantis. Die Forschungspartner versahen ein Elektrofahrzeug vom Typ Citroën AMI mit einem PV-Dach aus Kunststoff (0,71 m2, 140 W Leistung). Die Kunststoffkonstruktion ist 13 Prozent leichter als ein entsprechendes Glasmodul. Sie sichert dem für den Stadtverkehr konzipierten Fahrzeug an einem sonnigen Tag eine zusätzliche Reichweite von bis zu 8 km. Auf ein Jahr gerechnet entspricht dies rund 1790 km (berechnet für den Standort München mit durchschnittlich 3515 Sonnenstunden pro Jahr). Bei einer jährlichen Fahrleistung von 7000 km könnte das Stadtfahrzeug rund einen Viertel mit Solarstrom bewältigen.
In einem zweiten Projekt arbeitete CSEM abermals mit Simoldes Plastics und CEiiA zusammen, später kam das PV-Labor der EPFL hinzu. Als Pilotfahrzeug diente hier ein Peugeot 508. Die Heckscheibe wurde durch ein transparentes Werkstück aus Polycarbonat ersetzt und mit 161 Solarzellen (Gesamtleistung 100 W) belegt. Die Solarzellen wurden schachbrettartig angeordnet, um eine Transparenz von 50 Prozent sicherzustellen. Für dasselbe Fahrzeug wurde untersucht, welche Oberflächen neben der Heckscheibe zusätzlich mit Solarzellen belegt werden könnten. Hierfür kommen alle Flächen infrage, die den Krümmungsradius, bei dem Solarzellen brechen, nicht überschreiten. Gemäss den Berechnungen eignen sich rund 6 m2 der Fahrzeugoberfläche für die Belegung mit Solarzellen. So ausgerüstet würde das Fahrzeug über eine Solarleistung von 1260 W verfügen. Mit dem selbst produzierten Solarstrom könnten am Standort Paris pro Jahr zusätzlich 4800 km zurückgelegt werden. Die Solarreichweite wäre rund 2,5-mal grösser als beim Citroën AMI.
Einbezug der Batterieelektronik
In einem dritten Projekt arbeiten CSEM und EPFL ohne Industriepartner zusammen. Dort wurde ein Renault Twizy mit einem Kunststoff-Solardach (24 Solarzellen, 72 W Leistung) und einer Batterie ausgerüstet. Beide Komponenten wurden vom CSEM entwickelt. Für das Forschungsteam stehen die Batterieelektronik und -steuerung für eine optimale Nutzung des Solarstroms im Zentrum. So hat das CSEM ein System entworfen, das die Qualität der einzelnen Batteriezellen überprüft, womit die künftige Degradation antizipiert und die Batterielebensdauer erhöht werden kann.
Ein weiterer Fokus lag auf dem Maximal Power Point Tracker (MPPT), der zwischen Solarzellen und Batterie geschaltet ist und der dazu dient, den optimalen Arbeitspunkt der VIPV-Anlage einzustellen. Das ist anspruchsvoll, weil sich während einer Fahrt die solare Einstrahlung schnell ändert. Das Forschungsteam verkürzte mit optimierter Elektronik die Reaktionszeit, mit der Änderungen der Bestrahlungsstärke erfasst werden. Im verbleibenden Projektjahr wollen die Forscherinnen und Forscher von CSEM und EPFL unter anderem durch Testfahrten die tatsächlichen Energieerträge evaluieren und die Leistungsfähigkeit der Elektronik untersuchen.
Möglichst viel Sonne für das Auto
Wie hoch die Erträge von VIPV tatsächlich sind – das ist eine entscheidende Frage auch für die Wirtschaftlichkeit dieser Technologie. Das SolarBody-Team legt seinen Berechnungen die optimistische Annahme zugrunde, dass die Fahrzeuge bei Sonnenschein stets draussen an besonnten Orten stehen. Das ist nötig, um den maximalen Solarertrag zu erzielen. Die Sonnenexposition versuchen Autofahrerinnen und Autofahrer heute in der Regel zu vermeiden, um den Innenraum kühl zu halten. «Dieses Problem könnte gelöst werden, indem das Auto mithilfe einer geeigneten Steuerung kurz vor der Verwendung herunterkühlt wird», schlägt Antonin Faes als Gegenmassnahme vor.
Der CSEM-Forscher sieht in der VIPV auch eine elegante Lösung für ein Problem, das alle Elektrofahrzeuge betrifft, aber in der öffentlichen Debatte bisher nur selten Erwähnung findet: die Tatsache, dass Batterien von geparkten Elektroautos pro Tag 0,5 bis 1 Prozent der gespeicherten Energie verlieren. «Solarpanels auf den Autos wären ein ideales Mittel, um diese Verluste mindestens auszugleichen», betont Faes.
Beitrag von: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)
Bildquelle: Leonardo Panattoni