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Schritt für Schritt zum nachhaltigen Quartier

Das Papieri-Areal der einstigen Papierfabrik in Cham (ZG) verwandelt sich in ein nachhaltiges Stadtquartier. Sein Energiesystem ist zu 100 Prozent erneuerbar und fossilfrei. Photovoltaik und ein eigenes Wasserkraftwerk produzieren Strom.

Luftaufnahme des Papieri-Areals in Cham. Das Gelände verwandelt sich nach und nach in ein nachhaltiges Stadtquartier. | © Beat Bühler
Luftaufnahme des Papieri-Areals in Cham. Das Gelände verwandelt sich nach und nach in ein nachhaltiges Stadtquartier.

Das Areal der 1657 gegründeten Papierfabrik Cham erstreckt sich beidseits der Lorze und liegt nahe beim Ortszentrum. Die Umwandlung des Industriegeländes in ein gemischtes Quartier begann 2013 mit einem städtebaulichen Wettbewerb, den die Boltshauser Architekten AG, Zürich, und Albi Nussbaumer Architekten, Zug, gewonnen haben. Knapp die Hälfte des Projekts wurde bereits realisiert, die finale Fertigstellung ist auf Ende 2035 geplant. Das Papieri-Areal soll insgesamt rund 1000 Wohnungen und rund 1000 Arbeitsplätze bieten.

 

Gemäss einem Gestaltungsplan, der auf dem siegreichen Wettbewerbsprojekt basiert, entstehen nebst Wohnungen und Gewerbeflächen auch Kulturräume. Interventionen entlang der Lorze machen der Öffentlichkeit bis anhin weitgehend verborgene Räume und historische, zum Teil unter Schutz stehende, Industriegebäude zugänglich. Eine neue Brücke verbindet die beiden Seiten des Flusses, und ein Steg längs der ehemaligen Papierhallen ermöglicht einen direkten Kontakt zum Wasser.

 

Das Ziel des Gestaltungsplans besteht darin, die prägenden Strukturen und Bauten des Bestands so weiterzuentwickeln, dass neue räumliche und nutzungsspezifische Qualitäten entstehen. Mit dieser Strategie liessen sich über Schutzobjekte hinaus vorhandene Gebäude erhalten. Zeilenbauten und Hochpunkte ergänzen die historischen Industriebauten.

Neues Flusskraftwerk auf dem Papieri-Areal in Cham. | © Beat Bühler
Neues Flusskraftwerk auf dem Papieri-Areal in Cham.

Teil der 2000-Watt-Gesellschaft

Der Gestaltungsplan legte auch fest, dass es auf dem Areal künftig möglich sein soll, im Sinne der 2000-Watt-Gesellschaft zu leben und zu arbeiten. Das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft wurde in den 1990er-Jahren an der ETH Zürich entwickelt. Es strebt eine 2000-Watt-Primärenergie-Dauerleistung pro Person an, ausserdem null energiebedingte Treibhausgasemissionen und eine zu 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung.

 

Im Fall des Papieri-Areals sah man mit diesem Hintergrund eine eigene Wärme- und Kälteversorgung (Energieverbund) vor. Realisiert wurde der Energieverbund schliesslich auf dem eigenen Areal: Rund 190 Erdsonden, verteilt auf acht Erdsondenfelder, machen das Erdreich als Energiequelle und -speicher nutzbar. Auch das Flusswasser der Lorze wird zur Wärmeproduktion und für die sommerliche Regeneration der Erdsondenfelder eingesetzt. Wärmepumpen versorgen das quartiereigene Heiz- und Kältenetz. Das Energiemanagement wählt automatisch und temperaturabhängig aus, welche Energiequellen angezapft werden.

 

Entscheidend für die Erreichung der 2000-Watt-Ziele ist auch der Nutzungsmix von Wohnen, Arbeiten, Dienstleistungen und Einkauf, kombiniert mit einer hohen Dichte. Technische Unterstützung bietet ein hochdigitalisiertes Energiemanagement. Es sorgt für optimale Nutzung und effizienten Verbrauch der Quartierenergie, ergänzt durch smarte Technologien für Bewohnende und Gewerbetreibende, ein Elektromobilitätskonzept bis hin zu Biodiversitätsmassnahmen. Rund 40 Prozent des gesamten Strombedarfs des Quartiers wird selbst produziert und in einem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) auf Mittelspannungsebene im eigenen Stromnetz mit drei Trafostationen verteilt. Insgesamt besteht eine hohe Energieautarkie, sie soll am Schluss rund 75 Prozent betragen. Mit dem Nachhaltigkeits-Konzept gewann das Papieri-Areal 2024 den «Watt d’Or». Diese Auszeichnung des Bundesamts für Energie (BFE) gilt als Gütesiegel für Energieexzellenz.

Im Kleinkraftwerk sind auch Bestandteile des Vorgängers von 1890 ausgestellt. | © Beat Bühler
Im Kleinkraftwerk sind auch Bestandteile des Vorgängers von 1890 ausgestellt.

Eigenes Wasserkraftwerk

Die Erzeugung von elektrischem Strom erfolgt einerseits über Photovoltaikanlagen auf den Gebäuden. Beim Endausbau soll ihr jährlicher Ertrag bei 1110 MWh liegen. Ausserdem besitzt das Areal ein eigenes Flusskraftwerk an der Lorze. Die schlichte, skulpturale neue Anlage, entworfen von der Boltshauser Architekten AG aus dem siegreichen Planungsteam, ersetzt ein altes Kraftwerk aus dem Jahr 1890, welches für die Papiererzeugung genutzt wurde. Es liefert jährlich 1250 MWh Bandlast-Strom. Um die erste Konzession zum Betrieb eines Flusskraftwerks im Kanton zu erhalten, erbrachte die Bauherrschaft, die Cham Group, verschiedene ökologische Nachweise, die aufzeigten, dass durch das neue Kraftwerk mehr Vorteile als Nachteile für die Natur entstehen. Es wurde eine Fisch- und Bibertreppe gebaut, um sicherzustellen, dass sich diese Lebewesen frei flussauf- und -abwärts bewegen können.

 

Der erzeugte Strom kommt auch der ­Mobilität zugute. Im Quartier stehen ­Ladestationen für Elektrofahrzeuge zur Verfügung. Die Ladeinfrastruktur wird auf das bidirektionale Laden mit Speicherbatterien vorbereitet und sukzessive erweitert. Bis zu 400 Parkplätze mit Lademöglichkeit entstehen mitten im Geschäfts- und Wohnquartier. 

Der umgenutzte Hallenkomplex PM 1-4 am rechten Flussufer wird von einem öffentlichen Fussweg begleitet. | © Beat Bühler
Der umgenutzte Hallenkomplex PM 1-4 am rechten Flussufer wird von einem öffentlichen Fussweg begleitet.

Energieeffizienz im Bestand

Teil des gesamten Konzepts ist auch der schonende Umgang mit dem Baubestand. Diese Strategie wurde unter anderem bei der Sanierung und Umnutzung der Papiermaschinenhallen PM 1-4 angewendet, geplant wiederum von Boltshauser Architekten und Albi Nussbaumer Architekten. Die denkmalgeschützten Hallen entlang der Lorze und ein neuer Riegelbau von Galli Rudolf Architekten AG, Zürich, bilden einen lang gezogenen und rhythmisierten Gassenraum, der am nördlichen Ende in einen offenen Platz mündet. Grosszügige Durchgänge verknüpfen ihn mit dem Flussraum und machen diesen der Öffentlichkeit zugänglich.

 

Die bestehenden Fassaden von PM 1-4 werden durch eine markante Skelettkonstruktion aus Eisenbeton und Ausfachungen aus Zementsteinen geprägt. Charakteristisch sind überdies industrielle, grossflächige Verglasungen. Diese wurden saniert oder durch neue, die bisherigen Fenster andeutende, ersetzt. Eine konsequent durchlaufende Loggia auf der Westseite der Hallen schafft einen Klimapuffer. Die Fenster mit ihren sehr schlanken Profilen konnten deshalb belassen oder analog ersetzt werden. Die Fassadenteile aus Sichtbeton und Kalksandsteinmauerwerk blieben bestehen und wurden raumseitig partiell gedämmt. Wo nötig, ergänzen neu eingefügte Elemente die Fassade. Sie wurden mit den Materialien des Bestands erstellt, allerdings nicht als Rekonstruktion oder Imitation. Dadurch wollte man die verschiedenen Interventionen der unterschiedlichen Zeiten lesbar machen.

 

Im Wesentlichen enthalten die ehemals industriell genutzten Bauten im Erdgeschoss Gewerbe-, Gastronomie- und Kulturnutzungen, in den Obergeschossen eine Wohn- und Ateliernutzung. Im Innern wurde der Bestand weitgehend auf die eindrückliche Tragstruktur zurückgebaut, in welche die neuen Nutzungen eingewoben sind. Die vorgefundenen Stützen, die Primär- und Sekundärstruktur der Decken und auch die bestehenden Niveausprünge liessen sich grösstenteils erhalten. Die neuen Wände, welche die Einheiten begrenzen, verlaufen neben der Tragstruktur. Deckenversprünge in Querrichtung erzeugen vor allem in den Wohnungen, die sich mehrheitlich zwischen den Fluss- und Gassenraum spannen, für vielfältige Raumfolgen.

 

Auch diese Sanierung und Umnutzung der alten Papiermaschinenhallen orientierte sich an den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft.

Zürich 30.10.2024
Beitrag von: Manuel Pestalozzi
Bildquelle: Beat Bühler

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