Erdwärme aus grosser Tiefe sicher nutzen
Die hohen Temperaturen, die weit unter der Erdoberfläche herrschen, haben grosses Potenzial zur Bereitstellung von Strom und Wärme. Nach Rückschlägen besteht heute wieder die Hoffnung, das Potenzial der Tiefengeothermie für eine nachhaltige Energieversorgung nutzen zu können. Denn das Erdbebenrisiko lässt sich mit neuen Monitoring- und Vorhersagewerkzeugen besser abschätzen und kontrollieren. Das zeigt ein internationales Forschungsprojekt, an dem auch die ETH Zürich und Geo-Energie Suisse AG beteiligt waren.
Seit Frühsommer 2024 wird im jurassischen Haute-Sorne gebohrt. 4'000 Meter tief soll die Bohrung ins kristalline Grundgestein vordringen, wo 160 bis 180 °C herrschen. Im ersten Quartal 2025 sollen nach eingehenden geologischen Untersuchungen die ersten Tests beginnen. Sie werden zeigen, ob es möglich ist, die Wärme an die Erdoberfläche zu befördern, um sie später in geothermischen Kraftwerken mittels Dampfturbine in Strom umzuwandeln. Das Bohrprojekt in Haute-Sorne wird Entscheidungsgrundlagen liefern, ob die Energiegewinnung aus tiefen Erdschichten in der Schweiz Zukunft hat – und einen Betrag an eine fossilfreie Energieversorgung des Landes leisten kann.
Das Erdreich in 4'000 Metern Tiefe besteht aus festem Granit, der stellenweise von Felsritzen (Klüften) durchzogen ist. Will man die Wärme des Gesteins nutzen, braucht es eine hydraulische Stimulation, bei der Wasser mit hohem Druck ins Gestein gepresst wird. Dabei entstehen räumlich eng begrenzte, an der Oberfläche idealerweise nicht wahrnehmbare Mikrobeben, die den Zweck haben, die Felsritzen zu weiten. Damit entstehen sogenannte Reservoire; das sind Wärmetauscher, in denen Wasser zirkulieren kann. Wird nun kaltes Wasser in die Reservoire gepresst, nimmt dieses die Felswärme auf. Durch ein zweites Bohrloch wird das erhitzte Wasser an die Oberfläche geführt, wo der Dampf verstromt oder als Wärme genutzt werden kann.
Schonende Felsstimulation
Die Idee, Erdwärme aus stimulierten Reservoiren in grossen Tiefen zu nutzen, lag schon der Geothermiebohrung von Ende 2006 in Basel zugrunde. Allerdings traten im Zuge der Bohrung mehrere, in der Region Basel wahrnehmbare Erdbeben auf. Aus Sicherheitsgründen wurde das Geothermieprojekt abgebrochen. Dieser Rückschlag war Anlass für die Entwicklung eines neuen, schonenden Stimulationskonzepts: Hierbei wird der Fels mit Wasser stimuliert, allerdings wird neu nicht das ganze Bohrloch unter Druck gesetzt, sondern nur einzelne, mehrere Meter lange Abschnitte (Zonen) des Bohrlochs, nachdem letzteres mit Gummimanschetten (Packern) unterteilt wurde.
Diese sogenannte Multi-Stage-Stimulationstechnik hat sich seither im Labor und in Pilotprojekten bewährt. Untersuchungen der Geo-Energie Suisse AG und auch der ETH Zürich im Bedretto-Untergrundlabor (BedrettoLab) haben bestätigt, dass auf dem Weg die Gefahr grosser Beben vermindert wird. Der Grund: In jeder Zone kann ein Reservoir stimuliert werden, die Wasserinjektionen erfolgen räumlich und zeitlich gestaffelt. Die Methode erlaubt somit, in jedem Felsabschnitt Mikrobeben exakt in jener Stärke zu stimulieren, wie sie für die Entstehung eines Reservoirs nötig sind. Dadurch reduziert sich die Wahrscheinlichkeit von zu grossen Erdbeben deutlich.
Warnhinweis in Echtzeit
Ein dreijähriges internationales Forschungsprojekt zur Risikominderung von Projekten der tiefen Geothermie (mit dem Akronym DEEP) unter Leitung der ETH Zürich zielte nun darauf ab, das Risikomanagement von Multi-Stage-Stimulationen zu optimieren. Um dies zu erreichen, werden die Mikrobeben im Zuge der Felsstimulation mit verschiedenen Messtechniken in Echtzeit erfasst. Die Daten werden in Modelle eingebracht, mit denen sich vorhersagen lässt, welche seismische Aktivität im Fels aufgrund der Stimulationen in den kommenden Minuten, Stunden und Tagen zu erwarten ist. «Wir verfügen heute über ein Vorhersagesystem, das seine Einsatztauglichkeit nicht nur im Labor, sondern bei realen Bedingungen unter Beweis gestellt hat», sagt Stefan Wiemer, Seismologie-Professor und Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH Zürich. Dieses Vorhersagesystem vergleichen die Wissenschaftler mit einer Verkehrsampel, an der sich ablesen lässt, ob man die Stimulation weiterführen kann. Wiemer: «Hätte dieses System schon 2006 in Basel zur Verfügung gestanden, hätte man frühzeitig erkannt, dass Schadensbeben wahrscheinlich sind und die Stimulationen schon ein oder zwei Tage vorher abgebrochen, bevor diese spürbaren Erdbeben auftraten. Allerdings wäre so auch kein tiefer Wärmetauscher entstanden.»
Das Vorhersagesystem war zunächst an existierenden Daten von Geothermieprojekten und dann auch in Echtzeit im BedrettoLab getestet worden. Das DEEP-Projekt schuf nun den Rahmen für Tests unter wirklichkeitsnahen Bedingungen. Dies geschah im US-Bundesstaat Utah. Dort wurden auf dem Bohrgelände Utah-FORGE zwischen 2022 und Frühjahr 2024 insgesamt 15 Stimulationen durchgeführt. Utah-FORGE ist eine internationale Teststation, die hauptsächlich vom US-Department of Energy finanziert wird. Mit von der Partie waren Expertinnen und Experten der Geo-Energie Suisse AG, einer Organisation von Stadtwerken und regionalen Energieversorgern, die in der Schweiz auf die Nutzung der Tiefengeothermie hinarbeitet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben während der Stimulationen die Daten der Mikrobeben gemessen und für das Vorhersagesystem aufbereitet. «Wir konnten zeigen, dass die Echtzeit-Vorhersagen zu möglichen Erdbeben verlässlich sind, zudem konnten unsere Leute den Umgang mit dem Vorhersagesystem unter realen Verhältnissen trainieren», fasst Peter Meier, CEO von Geo-Energie Suisse, die Hauptergebnisse von DEEP zusammen. Die Erfahrungen hätten auch deutlich gemacht, dass die Messeinrichtungen für einen längeren Einsatz im Bohrloch noch verbessert werden müssten.
Good-Practice-Guide
Das Echtzeit-Vorhersagesystem wird in der Schweiz erstmals zum Einsatz kommen, wenn 2025 in Haute-Sorne die ersten Felsstimulationen durchgeführt werden. Stefan Wiemer von der ETH Zürich ist überzeugt, dass die Erkenntnisse aus dem DEEP-Projekt einen wichtigen Beitrag leisten, um das Erdbebenrisiko bei der Nutzung von Tiefengeothermie zu reduzieren. «Bei unseren Bemühungen, für Stimulationen seismologische Sicherheit zu schaffen, verzeichnen wir gute Fortschritte», sagt Wiemer. Damit die Tiefengeothermie in Haute-Sorne und anderswo eine Chance hat, müssen weitere Bedingungen erfüllt sein. Dazu müssen nicht nur technische Details und die Wirtschaftlichkeit geklärt werden, sondern auch Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz und juristische Aspekte.
Im Zuge des DEEP-Projekts entwickelten die Forschenden der ETH Zürich einen international abgestützten Good-Practice-Guide, der den Erbauern von Geothermie-Kraftwerken Hilfestellungen zur Eindämmung des Erdbebenrisikos bietet. Die Ergebnisse des Projekts sind über Open-access-Publikationen und Software für Geothermie-Projekte weltweit nutzbar. In einem DEEP-Folgeprojekt soll eine digitale Abbildung (digital twin) des Schweizer Untergrunds geschaffen werden mit dem Ziel, die Werkzeuge zur Erdbebenvorhersage und Reservoir-Entwicklung noch verlässlicher zu machen.
Weitere Informationen zum DEEP-Projekt: www.deepgeothermal.org
Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Geothermie: www.bfe.admin.ch/ec-geothermie.
So funktioniert das Warnsystem
Um das Erdbebenrisiko bei Felsstimulationen im Zuge der Geothermie-Nutzung zu minimieren, haben Forschende der ETH Zürich in den letzten Jahren ein Warnsystem entwickelt und im Zuge des DEEP-Projekts zur Anwendungsreife gebracht. Die Wissenschaftler bezeichnen das Warnsystem als Adaptive Traffic Light System (ATLS), also als ein Ampelsystem, das sich ständig an die aktuellen Gegebenheiten der Stimulation anpasst. Es unterstützt die Verantwortlichen dabei, Felsstimulationen so zu steuern, dass keine gefährlichen Erdbeben entstehen.
Ausgangspunkt des Warnsystems sind kontinuierliche Messungen, insbesondere der lokal begrenzten Mikrobeben, die mit den Stimulationen im Fels einhergehen. Während einer Stunde treten mehrere Zehntausend Mikrobeben auf, die dann vollautomatisiert und möglichst fehlerfrei ausgewertet werden müssen. Zur Messung der Felsbewegungen werden u.a. Hochtemperatur-Geophone eingesetzt. Eine jüngere Messmethode sind Glasfaserkabel, die ins Bohrloch verlegt werden. Mit hochfrequentem Laser-Licht können kleinste Felsbewegungen (in der Grössenordnung von Millionstel Millimetern) mit hoher räumlicher Auflösung bestimmt werden. Im Projekt konnte gezeigt werden, dass die Glasfasermessungen robust und temperaturbeständig sind und somit viel Potential zum Einsatz in der tiefen Geothermie bieten.
Die Messdaten werden in Echtzeit analysiert und durch Einbringen in geeignete Modelle interpretiert. Zur Auswertung der grossen Datenmengen hat sich der Einsatz von Algorithmen des Maschinellen Lernens bewährt. Auf dieser Grundlage werden Vorhersagen über das Felsverhalten der Bohrstelle errechnet und daraus das Erdbebenrisiko für die nächsten Minuten, Stunden und Tage ermittelt.
Wird aufgrund dieser Prognosen eine Stimulation als gefährlich eingestuft, kann diese angepasst werden, also z.B. weniger Wasser mit geringerem Druck eingepresst oder auf die Stimulation eines Bohrabschnitts ganz verzichtet werden.
Beitrag von: Benedikt Vogel, im Auftrag des BFE