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Die Schaltsekunde

Lesen Sie diesen Artikel auch im E-Paper der Technischen Rundschau: Technische Rundschau 11/2024 

Ein Jahr hat 365 Tage, ein Tag 24 Stunden, eine Stunde 60 Minuten und eine Minute 60 Sekunden. Diese Definitionen der Zeiteinheiten, obwohl korrekt, sind nicht in Stein gemeisselt. Ein Kilogramm hat immer 1000 Gramm, ein Meter immer 100 Zentimeter. Ein Jahr wie beispielsweise das aktuelle kann unter Umständen 366 Tage haben – und es gibt auch Minuten mit 61 Sekunden.

Die Basiseinheit der Zeit ist die Sekunde. U(h)rsprünglich war sie über die Erdrotation definiert als der 86'400ste Teil einer Umdrehung der Erde um ihre eigene Achse (ein mittlerer Sonnentag). Da sich jedoch die Rotationsperiode der Erde als nicht konstant erwiesen hat, ist man von dieser Definition abgekommen. Seit 1967 wird eine Sekunde über atomare Schwingungsfrequenzen definiert. Eine Sekunde ist das 9'192'631'770-fache der Periodendauer der Strahlung, welche dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen, des Nuklids 133 Cs (Caesium Atom), entspricht. Die koordinierte Weltzeit (temps universel coordonné, UTC), welche vom internationalen Büro für Mass und Gewicht (Bureau International des Poids et Mesures, BIPM) definiert wird, benutzt heute die atomar definierte Sekunde. In der Folge dauert ein astronomischer Tag heute nicht mehr genau 60×60×24 Sekunden, sondern tendenziell in den letzten Jahrzehnten eher etwas länger. Die Zeitrechnung, in der jeder Tag über 86 400 atomar definierte Sekunden hat, ist die Internationale Atomzeit (International Atomic Time, TAI).

Anpassungen

1972 wurde entschieden, wann immer der Unterschied zwischen UTC und TAI mehr als 0,9 Sekunden beträgt, eine Schaltsekunde einzuführen. Diese findet immer entweder am 30. Juni oder 31. Dezember um 23:59:60 statt. Die Entscheidung darüber trägt der Internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (International Earth Rotation and Reference Systems Service, IERS). Es wurden bereits 27 Sekunden zur UTC hinzugefügt, damit die UTC mit der Rotationsperiode der Erde übereinstimmt. Da der Unterschied bei der Einführung bereits 10 Sekunden betrug, liegt die UTC nach heutigem Stand 37 Sekunden hinter der atomar definierten TAI. Im Schnitt kam etwa alle drei Jahre eine Schaltsekunde hinzu. Die Letzte jedoch am 31. Dezember im Jahr 2016, also vor acht Jahren.
Die Erdrotation hat sich in den letzten Jahren, entgegen den Erwartungen, beschleunigt. Dies könnte dazu führen, dass zum ersten Mal eine negative Schaltsekunde eingeführt wird. Dann hätte eine Minute nur 59 Sekunden. Eine negative Schaltsekunde würde vermutlich neue technische Probleme mit sich bringen und der Aufwand dafür würde ihren Nutzen übersteigen.

«Miteinander verbunden: Die Schaltsekunde wurde eingeführt, damit die Weltzeit nicht von der astronomischen Zeit abweicht.»

Technische Probleme

Die Schaltsekunde wurde eingeführt, damit die Weltzeit nicht von der astronomischen Zeit abweicht. Wir wollen uns nach der Sonne richten. Die heutigen Zeitzonen folgen diesem Grundsatz allerdings nur sehr bedingt. In der Schweiz ist der Sonnenhöchststand nirgends um 12 Uhr Mittag. Dieser Punkt liegt für die Mitteleuropäische Zeit in der Nähe von Prag. Welchen Unterschied machen also einige Sekunden? Für technische Systeme hingegen stellen Schaltsekunden eine Herausforderung dar. GPS-Systeme sind auf kontinuierliche Zeitsignale angewiesen und können durch das Hinzufügen einer Schaltsekunde Diskrepanzen aufweisen. Finanzmärkte, welche auf sehr genaue Zeitstempel für Transaktionen angewiesen sind, können Störungen erfahren. Viele Softwaresysteme sind nicht auf die zusätzliche Sekunde vorbereitet, was zu Abstürzen oder Fehlfunktionen führen kann. So geschehen Ende Juni 2012: Der Linux- Kernel hat die Zeitanpassung aufgrund der Schaltsekunde im Subsystem «hrtimer» (high-resolution timer) nicht korrekt umgesetzt, was zu CPU-Überlasten führte. Das hrtimer-Subsystem wird gebraucht, wenn Programme schlafen, während das Betriebssystem (Operating System, OS) andere Arbeiten erledigt. In gewissen Fällen stellt der hrtimer einen Wecker, um das Programm weiterzuführen, sollte das OS für die anderen Arbeiten zu lange brauchen. Durch die Schaltsekunde waren die hrtimer den Timern des OS plötzlich eine Sekunde voraus, wodurch alle Alarme auf einmal ausgelöst wurden. Durch das Aufwecken einer Vielzahl von Programmen kam die CPU-Überlast zustande, welche diverse Systeme zum Absturz brachte. Dies ist nur ein Beispiel der Auswirkung der Schaltsekunde im Jahr 2012. Google hat das Problem mit einer Methode umgangen, welche es «leap smear» nennt. Anstatt eine extra Sekunde anzuhängen, hat es sein Network Time Protocol (NTP) so angepasst, dass über einen längeren Zeitraum die Sekunden so gedehnt wurden, dass die extra Sekunde dadurch hinzugefügt wurde.

Abschaffung

Die Abschaffung der Schaltsekunde ist bereits beschlossen. Dies geschah an der 27. Generalkonferenz für Mass und Gewicht in Paris 2022. An der nächsten Konferenz im Jahr 2026 soll der maximale Abstand zwischen UTC und TAI definiert werden. Was geschieht, wenn dieser Wert erreicht wird, ist nicht klar. Wenn wir davon ausgehen, dass eine Abweichung von einer Stunde zugelassen wird, was dem Unterschied der Sommer- und Winterzeit entspricht und deshalb vertretbar scheint, haben wir voraussichtlich noch mehrere Tausend Jahre Zeit, eine geeignete Strategie zu entwickeln und Softwaresysteme darauf vorzubereiten. Sofern wir bis dahin nicht mit anderen Herausforderungen konfrontiert sind.

08.11.2024
Beitrag von: Belinda Kneubühler, Dr. Jürg Niederhauser

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