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Das bessere China?

Vor einem Jahr hat Indien China als bevölkerungsreichstes Land der Welt abgelöst. Auch ökonomisch möchte der Subkontinent schnell zu seinem nördlichen Nachbarn aufschliessen. Das dynamische Wachstum und das neue Freihandelsabkommen machen Indien für die Schweizer Tech-Industrie zu einem interessanten Exportmarkt und Produktionsstandort.

Ein Arbeiter montiert Mobiltelefone in einer Produktionsfirma in Noida, Indien. Mit der Initiative «Make in India» will Indien das grosse China bei der Industrieproduktion überholen. | © Shutterstock
Ein Arbeiter montiert Mobiltelefone in einer Produktionsfirma in Noida, Indien. Mit der Initiative «Make in India» will Indien das grosse China bei der Industrieproduktion überholen.

Gut 1,4 Milliarden Menschen leben in Indien. Jeder von ihnen kaufte im vergangenen Jahr im Durchschnitt Güter aus der Schweiz im Wert von ungefähr 1,30 Franken. Gerade einmal 0,7 Prozent der Schweizer Exporte gingen 2023 nach Indien. Das sind Zahlen, von denen man sich nicht täuschen lassen sollte. Indien schickt sich an, China Konkurrenz zu machen – als Wirtschaftsmacht, Exportziel und Produktionsstandort. Premierminister Narendra Modi hat seinem Land eine Wachstumskur verordnet. Mit seiner Initiative «Make in India» will er den grossen Rivalen im Norden bei der Industrieproduktion überholen.

Reich werden bevor die Bevölkerung altert

Modis Initiative hat durch die Corona-Krise Auftrieb erhalten. Viele Unternehmen verfolgen nach den schmerzhaften Erfahrungen mit unterbrochenen Lieferketten eine «China-plus-eins-Strategie»: Sie wollen ihre Abhängigkeit von China reduzieren und suchen nach alternativen Produktionsstandorten.

 

Davon profitiert Indien, das im Wettbewerb mit China einige Trümpfe in der Hand hält: Während Chinas Bevölkerung ihren Höchststand erreicht hat und in den kommenden Jahren drastisch schrumpfen wird, wächst Indien weiter: In 40 Jahren werden Prognosen zufolge 1,7 Milliarden Menschen auf dem Subkontinent leben. Indiens Bevölkerung ist nicht nur sehr gross, sondern auch sehr jung. Mehr als die Hälfte der Inderinnen und Inder ist jünger als 30 Jahre. Diese demografische Dividende kann Grundlage für künftiges Wirtschaftswachstum sein. Sie ist aber zugleich auch eine grosse Herausforderung: Indien muss reich werden, bevor die Bevölkerung alt wird.

 

Ein weiterer Faktor, der für Indien spricht, ist die Demokratie. Auf dem weltweiten Demokratieindex der britischen Zeitschrift «The Economist» rangiert der südasiatische Staat derzeit auf Platz 41 – nicht nur weit vor China, sondern auch vor vielen ost- und südosteuropäischen Staaten. Das hält Amnesty International nicht davon ab, die Menschenrechtslage in Indien kritisch zu beurteilen. Die Missachtung der Rechte religiöser Minderheiten, der Abriss von Häusern und Geschäften muslimischer Familien, das unverhältnismässige Vorgehen gegen friedliche Demonstranten und eine insgesamt repressive Gesetzgebung sind nur einige der Missstände, die im jüngsten Bericht der Menschenrechtsorganisation angeprangert werden.

 

Zudem scheint Indien bei der Auswahl seiner Partner nicht besonders kritisch zu sein: Erst im vergangenen Dezember sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow nach einem Treffen mit seinem indischen Amtskollegen der Nachrichtenagentur Tass, dass beide Länder ihre Kooperation bei der Waffenproduktion ausbauen wollten. Neu-Delhi unterstützt die Sanktionen des Westens gegen Moskau nicht. Laut Berichten des US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN kaufte Indien im vergangenen Jahr 13-mal so viel russisches Öl wie vor Beginn des Ukraine-Kriegs.

««Um das enorme Potenzial entfalten zu können, sind umfangreiche Reformen notwendig – und zwar bald.»» Martina Zech, ZKB

Schweizer MEM-Exporte wachsen schnell

Für die Schweizer Tech-Industrie, die im vergangenen Jahr erstmals Güter im Wert von mehr als einer Milliarde Franken nach Indien exportierte, ist der Subkontinent ein Absatzmarkt mit Zukunftspotenzial. Während die Ausfuhren in viele Regionen stagnierten oder gar sanken, wuchs das Exportvolumen nach Indien zwischen 2020 und 2023 kumuliert um 60 Prozent.

 

Da kommt es gerade recht, dass die EFTA-Staaten, zu denen auch die Schweiz gehört, im März endlich das lang ersehnte Freihandelsabkommen mit Indien unter Dach und Fach gebracht haben. «Das Freihandelsabkommen mit Indien ist für die Exportunternehmen ein Lichtblick in einer schwierigen Phase», sagt Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher. Zollabbau im Tausch gegen Investitionen

 

Das Freihandelsabkommen der EFTA ist das erste Europas mit dem aufstrebenden Land. Bisher sahen sich Schweizer Exportunternehmen auf dem indischen Markt mit erheblichen Marktzugangshürden konfrontiert. Zurzeit liegen die Einfuhrzölle für Güter der Schweizer Technologieindustrie zwischen 8 und 22 Prozent. Nach der Ratifizierung des Abkommens sollen die Zölle für die überwiegende Mehrheit der Schweizer Exporte in den nächsten zehn Jahren schrittweise ganz oder teilweise abgebaut werden. Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO schätzt, dass Schweizer Unternehmen dann jährlich bis zu rund 167 Millionen Franken einsparen können. Im Gegenzug erwartet Indien massive Direktinvestitionen aus den EFTA-Staaten von insgesamt 100 Milliarden US-Dollar sowie die Schaffung von einer Million Arbeitsplätzen in den nächsten 15 Jahren.

 

Martin Hirzel, Präsident Swissmem, betont: «Das Freihandelsabkommen mit Indien eröffnet insbesondere für KMU neue Marktchancen – dies primär über Exporte, mittelfristig aber auch durch den Aufbau einer eigenen Produktion vor Ort.» Martina Zech, Senior Economist Emerging Markets bei der Zürcher Kantonalbank, beurteilt das Thema Indien hingegen eher mit gedämpfter Euphorie. Um das enorme Potenzial entfalten zu können, seien umfangreiche Reformen notwendig – und zwar bald, schreibt Zech in einem Blogbeitrag auf der Internetseite der Bank. Geringe Innovationsfähigkeit, fehlendes Know-how und ausländisches Kapital sowie Protektionismus, Bürokratie, rigorose Boden- und unflexible Arbeitsgesetze, hätten bisher die Industrialisierung des südasiatischen Landes verhindert, so Zech.

Zürich 12.06.2024
Beitrag von: Hendrik Thielemann
Bildquelle: Shutterstock

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